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Satire in Theorie und Praxis

Satiregate Leipzig: „NPD-Connewitz“ kurz vor Entzug der Spaßlizenz!

Sonst für ihre gut gelaunte Schreibe bekannt, beklagt die Pressestelle der Polizei Leipzig in einer Mitteilung wehleidig die aus ihrer Sicht viel zu diffusen Grenzen von Satire:

Kurt Tucholski [sic] stellte einst die in der Überschrift aufgeworfene Frage und antwortete: „Alles.“ Schade, dass er die Fragen nach dem Wer und Wie nicht so eindeutig beantwortet hat.

Was war passiert?

In Leipzig-Connewitz wurde vor kurzem eine Polizeistelle eröffnet. Wer von Connewitz schon mal etwas gehört hat, befürchtete sicherlich schon wieder das Schlimmste: Straßenschlachten, durch gewaltbereite Chaoten besetzte Polizeibüros, und wer weiß, vielleicht sogar die ein oder andere umgetretene Mülltonne.

Vergangenen Freitag zeigte sich überraschend ein anderes Bild: Die Szene versammelte sich tatsächlich vor der neu eingerichteten Polizeidirektion. Anstatt der befürchteten Krawalle wurde aber auf ein anderes Mittel der politischen Auseinandersetzung gesetzt: Satire. Das kam alles andere als gut an.

Als verantwortlich für die Aktion zeigte sich die Bürgerinitiative „No Police District Connewitz“, kurz NPD Connewitz. Sie inszenierte sich als besorgter Mob mit Heugabeln vor dem neuen Polizeibüro und informierte die Eindringlinge, dass sie in ihrer Nachbarschaft nicht erwünscht seien.

Dabei hielt ein Pulk von ungefähr 200 Menschen selbstgebaute Papier-Fackeln in die Luft, freute sich über die vielen pointierten Sprüche aus den eigenen Reihen und lachte über die selbstironische Rede, die über das Megaphon verlesen wurde, um alle Akteure des Geschehens aufs Korn zu nehmen. Die Stimmung war ausgelassen, jünge Familien mischten sich unter die Demonstrierenden.

Spätestens da hätte auffallen müssen: Es ging bei dieser Aktion selbstverständlich nicht um die Einschüchterung von irgendeinem mickrigen Polizeibüro. Es ging um die Karikatur eines Bürgermobs und den Hinweis, wie blind die Polizei sich gerade in Leipzig regelmäßig bei Ermittlungen in der Naziszene anstellt.

Bürgerinitiativen sind in letzter Zeit vor allem als eins bekannt geworden: Als Protestplattformen für Nazis und bürgerliche Rechte, sei es gegen den Moscheenbau in Leipzig-Gohlis oder gegen eine Unterkunft für Asylbewerber_innen in Leipzig-Schönefeld. Sie sind allesamt Beispiele einer neuen NPD-Strategie, die bei ähnlichen Protesten letztes Jahr in Berlin-Marzahn zum ersten Mal aufkam.

Insbesondere in Leipzig entstanden in diesem Umfeld widerwärtige Aktionen. So wurden im letzten Herbst auf der Baustelle der geplanten Moschee in Gohlis Schweinköpfe auf Holzpfäle aufgespießt.

Leipzig hat ein Naziproblem. Dagegen gilt es anzukämpfen. Die Aktion der „NPD-Connewitz“ war ein erfrischend anderes Mittel, um auch mal die Polizei direkt auf die Missstände aufmerksam zu machen, in welchen marginalisierte Menschen dieser Stadt leben. Dass diese Intention nicht durchdrang, ist nicht den Veranstalter_innen anzulasten. Wenn eine satirische Aktion mit theatralen Requisiten, vorbereiteten Redebeiträgen und sogar einer offiziellen Anmeldung in der Tasche im Nachgang als Krawallveranstaltung verkauft wird und ihr kommunizierter, politischer Anspruch nicht einmal eine Erwähnung findet, dann ist der Vorgang vielmehr bezeichnend für die völlige Ignoranz seitens Polizei und Bürgertum.

Das alles spricht unter anderem für ein sehr fragwürdiges Verständnis von Satire. Aus diesem Grund hat die Gründungsgeneration der Front Deutscher Äpfel, eines anderen Satireformates aus Leipzig, eine Pressemitteilung aufgesetzt, die im Folgenden dokumentiert wird:

Pressemitteilung: Gründer der Apfelfront melden sich bezüglich Satire-Debatte in Leipzig zu Wort

Im Rahmen einer satirischen Aktion im Statdteil Connewitz kochen in Leipzig die Wogen hoch. Jetzt melden sich auch Alf Thum, seines Zeichens Erfinder und „Führer“ der aus Leipzig stammenden „Front Deutscher Äpfel“, einem bundesweit bekannten Satire-Projekt gegen Rechts, sowie zwei weitere Mitbegründer zu Wort.


„Wenn ich anderen Eltern aus dem Kindergarten meines Sohnes erzähle, dass ich manchmal in Connewitz auf Partys oder Veranstaltungen bin, fragen die immer besorgt nach, ob man da denn nicht dauernd überfallen, verprügelt oder einem das Auto angezündet wird – soweit Connewitz als stadtbekanntes Klischee. Findet dann eine noch nicht barrikadenbewährte Satireaktion statt, gibt es sofort Aufregung mit dem Tenor: ‚Dürfen die das?‘ Doch es ist zentrales Element von Satire, mit Überspitzungen, Ironie und haltlosen Behauptungen zu arbeiten. Es mit einer satirischen Demoaktion immer allen Recht zu machen ist nicht möglich. Denn Satire spaltet, ist nicht für jeden gleichermaßen lesbar und ist letztlich immer ein wenig riskant und Geschmackssache. Satire arbeitet sich gern an Autoritäten ab. Ich finde es unnötig, dass nun Politiker und Funktionäre meinen, sich über einen allgemein gültigen Satirebegriff verständigen zu müssen. Ich fordere ultimativ alle Beteiligten mit dem Hinweis: ‚Es ist Karnevalszeit!‘ auf, sofort die Empfindlichkeiten einzustellen.“, sagt Alf Thum, Gründer der Apfelfront.

Tilman Loos, mittlerweile selbst aktives LINKE-Mitglied ergänzt: „Ich habe selbst noch nie eine Demo besucht, auf der ich alles was gerufen worden ist, hätte unterschreiben können. Das ist auch weder im Vorfeld planbar noch vor Ort umsetzbar. Die Anmelderin für jeden Vorfall auf und nach der Kundgebung in Haftung zu nehmen, geht meilenweit an der Realität solcher Veranstaltungen vorbei. Das weiß aber eigentlich jeder.“, sagt Tilman Loos.

Dass es gerade bei satirischen Auftritten im öffentlichem Raum immer wieder zu Irritationen kommt, kennt Tilman Loos noch von der Apfelfront. Dieses Satireprojekt gegen Rechts hatte weit über Leipzig hinaus ab 2004 für Aufsehen gesorgt. Tilman Loos, damals einer der Mitbegründer des Projekts, sagt dazu:

„Auch bei den Auftritten der Apfelfront ist es immer wieder passiert, dass Teile des Publikums das Ganze entweder nicht verstanden haben oder deutlich über das Ziel hinausgeschossen sind. Damit muss man leben, wenn man solcherlei Aktionen macht. Nicht nur beim Essen sondern auch bei der Kunst gilt bekanntlich: Geschmäcker sind verschieden.“, sagt Tilman Loos.

Max Upravitelev, der selbst aus Berlin angereist war um die Aktion zu beobachten, ergänzt: „Die Aktion war eindeutig stark auf die Situation in Schönefeld und die rassistische Stimmungsmache dort gemünzt. Der neue Polizeiposten in Connewitz war selbst nur Vorwand, eine willkommene Requisite. Es ist seltsam, dass dies offensichtlich kaum jemand verstanden hat. Wer wie ich vor Ort war hätte übrigens auch deutlich wahrnehmen können, dass im gehaltenen Redebeitrag eine ganz gehörige Portion Selbstironie der linken Szene enthalten war. Kunst im öffentlichen Raum ist immer auch ein Experiment. Aber es muss möglich sein, neue Aktionsformate zu erproben. Dass nun ausgerechnet ein Kulturpolitiker das alles nicht versteht, ist allerdings wirklich komisch im wahrsten Sinne des Wortes.“, so Max Upravitelev.

Völlig absurd wird die Geschichte übrigens durch ein halbes Spezial in der heutigen Printausgabe der konservativen Leipziger Volkszeitung. Ausgerechnet in diesem Rahmen hielt es sogar der Stadtvorstand der Partei „Die Linke“ für nötig, gegen eine gelungene Aktion und aktive Mitglieder der eigenen Partei zu wettern. Absurder wird es nicht. Aber hoffentlich kann man wenigstens an dieser Stelle erwarten, dass nach der öffentlichen Denunziation auch eine Entschuldigung folgt.

Photo: Alexander Böhm

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Alltag & Poesie

Anmerkungen zu Satire (I): Zur Frage nach den Grenzen

Satireproduzenten wird gern die Frage gestellt, wo die Grenzen ihres eigenen Schaffens liegen würden. In etwa lautet die Frage entsprechend: „Darf Satire wirklich alles, oder gibt es Grenzen?“ Eine beliebte Grenze ist zum Beispiel die des „guten Geschmacks“ – ein merkwürdiges Hybrid aus ästhetischer Kategorie und moralischem Urteil. Dürfe man sich auch über XY lustig machen, oder hört irgendwo der Spaß auf? Sei es bei dem Thema überhaupt angebracht, dieses satirisch zu bearbeiten? Oder müssten nicht andere künstlerische Methoden herangezogen werden?

Solche Fragen sind naheliegend, aber falsch rum gedacht. Das Material gibt vor, wie sich die satirische Reaktion konstituiert. Der Satiriker antwortet. Er antwortet mit einer Kampfansage, denn Satire heißt immer: Angriff. Es geht nicht um die Produktion von selbstgenügsamen Klamauk oder Entertainment, es geht um einen Angriff auf den Gegenstand der Indignation. Um den Gegenstand, den es abzuschaffen gilt. Satirisch Arbeiten heißt, dem Gegebenen eine angemessene Antwort entgegenzustellen. Diese muss wehtun, sonst macht man es nicht richtig. Satire ist immer Reaktion, nicht Aktion. Es geht nicht um initiative Lösungsvorschläge. Es geht um Kritik.

Kritik des Bestehenden ist der Zweck, Satire ein Mittel. Die Grenzen der Satire lassen sich von daher wenn überhaupt, dann aus Perspektive des Satireproduzenten feststellen: „Wenn ich nicht mehr lachen kann, dann werd‘ ich eben schreien.“ Bis es so weit ist, bleiben wir bei Satire.

 

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Satire in Theorie und Praxis

Neues von der Front

Die Front Deutscher Äpfel ist wieder da! Aufgrund unserer regen Beteiligung an diesem Projekt, dokumentieren wir an dieser Stelle einige ausgewählte Links mit Informationen zum Comeback der „einzigen wirklich nationalen Bewegung Deutschlands“:

1. Zunächst ein Artikel von ER zu den aktuellen Entwicklungen:

ER – Front Deutscher Äpfel zurück im Schützengraben

2. Die redaktionelle Arbeit der FDÄ Online Redaktion wurde aufgenommen und ist unter der altbekannten Adresse zu finden:

www.apfelfront.de

3. Das Hauptmotiv der wiederaufgenommenen Arbeit ist die internationale Ausrichtung des gesamten Projektes.

Nach dem sich in Ungarn die Ungarische Knoblauchfront gegründet hat, sollen weitere Fronten von gleichem Format eröffnet werden. Hierzu wurde ein Manifest geschrieben und mittlerweile ins Englische übersetzt:

Front Deutscher Äpfel – Front Manifest (DE)

Front Deutscher Äpfel – Front Manifest (EN)

Neuigkeiten der Apfelfront, anstehende Termine sowie hin und wieder Stellungsnahmen zu aktuellen Anlässen finden sich unter www.apfelfront.de.

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Alltag & Poesie

Kritik der Konsumkritik

Keine Besprechung, eher Randnotiz anlässlich des Erscheinens von Harald Welzers „Der Konsumismus kennt keine Feinde“ in Blätter für internationale Politik.

Konsumkritik ist ausschließlich idealistische Gesellschaftskritik, nicht mehr. Sie fängt in ihrer Analyse einfach falsch an. Das Grundproblem am Kapitalismus ist nicht, welche Güter wie konsumiert werden. Das Problem ist, wie sie produziert werden. Die Produktion erfolgt im Kapitalismus auf Basis von Spekulation. Und nein, damit sind selbstverständlich nicht nur Spekulationen im Finanzsektor gemeint.

Jeder Bäcker spekuliert jeden Morgen darauf, wie viele Brötchen wohl verkauft werden. Jeder Verlag produziert Auflagen von Büchern, ohne zu wissen, wie viele denn eigentlich gebraucht werden und jede Fernsehsendung wird zuerst produziert und dann eingestellt, wenn sie nicht genügend Einschaltquoten bringt.

Überproduktion ist innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise unvermeidlich. Sie ist eingrenzbar durch Marktforschung, aber sie ist unvermeidlich.

Umso enttäuschender, dass Harald Welzer in seinem Artikel „Der Konsumismus kennt keine Feinde“ (erschienenen in Blätter für internationale Politik) nicht eben dies thematisiert, sondern bei Konsumkritik stehen bleibt. Es ist wirklich bedauerlich, da seine Perspektive eigentlich sehr sympathisch ist – er prophezeit, dass innerhalb kapitalistischer Verhältnisse die Menschheit sich selbst in Zukunft stark dezimiert, weil sie ihre eigenen Lebensgrundlagen zerstört.

Aber die Verhältnisse erscheinen ihm als ungeheure Ansammlung von Waren und bei dieser Erscheinung bleibt er stehen. Anstatt sich mit dem Wesen dieser Erscheinung zu befassen, kritisiert er einzelne Güter und beschwert sich über das Bedürfnis nach dem „noch flacheren Fernseher“ und „die noch fernere Fernreise“. Das ist zu wenig, gerade aufgrund der von ihm ja völlig zu Recht attestierten Dringlichkeit der Umstellung menschlichen Wirtschaftens.

Daneben Wachstumsstreben zu kritisieren, ist innerhalb dieser Verhältnisse wenig hilfreich: Es gibt kein Null-Wachstum, sondern nur Wachstum oder Stagnation. Und Stagnation sollte man in diesen Verhältnissen niemandem wünschen, es sei den man vertritt die Verelendungstheorie.

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Dada

DADA in Budapest – Seminarreise 2013 in Ungarn

Die Union ist in Aufruhr. Ungarn entfernt sich stetig von der „Wertegemeinschaft“ der EU, die sich wiederum ohne Handhabe gegenüber devianten Staaten wiederfindet. Aus diesem und anderen politischen, künstlerischen und kulturellen Interessen hat sich das BRIMBORIA Institut für mehrere Wochen nach Budapest aufgemacht, um die Lage zu analysieren und gleichzeitig – ganz im Sinne der Internationalen Brigaden für Ungarn – in das Geschehen einzugreifen.

Unter direkter Beteiligung der Institutsleitung, sowie mit Mitgliedern der Front Deutscher Äpfel und der Ungarischen Knoblauchfront, gründete sich die Aktionskunstgruppe DADA (Democrat Activists for a nice Democratic Attitude), um dem Treiben der Regierung, den Faschisten und den unfähigen Oppositionellen überaffimierend zu opponieren. Die Gleichgültigkeit der politischen Botschaften resultierte in der im Video unten dokumentierten Aktion.

DADA replaces national holiday demonstrations in Budapest

„Who is not with us, is a traitor of Hungary“

One hundred artists occupy the streets of Budapest and replace the demonstrations of Jobbik, Fidesz and Milla.

A video leìràsa elèrhetö a következö linken: http://hedonist-international.org/aru…
Die deutsche Beschreibung ist unter folgendem Link verfügbar: http://hedonist-international.org/aru…

Traditionally, the 15th of March is a day of political demonstrations in Budapest. Due to a massive onset of snow in Hungary it seemed until the morning that no outside events would take place at all. But „DADA“ did not want to break with that tradition. The Hungarian-German artist activist group „Democratic Activists for a nice Democratic Attitude“ on the spot replaced several demonstrations of the established political parties.

In recent years the dominant political parties – especially the national conservative ones – veered away from the remembrance of Hungary’s achieved freedom in 1848. Instead of the revolution they give prominence to the nation and to the daily political showing-off. As it was the case in 1848 DADA pointed to the critique of political domination. The means of choice was: Satire.

One hundred political artists replaced about 200.000 absent demonstrators of the political parties Jobbik, Milla and Fidesz. Equipped with slogans like „Who is not with us, is a traitor of Hungary“ and „There is no alternative – but us“ the sole demonstration of that special day started at the National Museum, the original starting point of the so-called Peace March. In the spirit of the Revolution of 1848 and making use of the last remains of the freedom of speech, the activists advanced closely to the center of power, the parliament. DADA also included the ending point of the canceled demonstration of the radical right-wing Jobbik party, the Deák Ferenc Ter.

There the political artists held several speeches in Hungarian, German and Gibberish – to the applause of passing pedestrians. The highlight of the performance-act were the final announcements at Kálvin ter, the place of the canceled gathering of Milla. At this place it should have become clear to all bystanders that the activist group not only connected all those routes, but also satirized the national conservative Hungarydom of the different political parties.

The first Hungarian action of the bilateral DADA cooperation definitely was the climax of the national holiday. Viktoria Nabro, co-founder of DADA, highlighted what finally must have been said: „Only the true Hungarians claimed the streets today.“

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In eigener Rache

Nazis rein – Kommentar zur Absage des „Nazistück“

Die Intendanz des Leipziger Centraltheaters (CT) hat die Aufführung des „Nazistück“ ausgesetzt. „Verschoben“ und „abgesagt“ wurde die Aufführung bereits im Mai 2012. Die Begründung damals: das Stück sei nicht eindeutig genug in Opposition gegangen, zum dargestellten Denken und Handeln von Nazis. Fast zehn Monate später, nach einer Generalüberholung in Sachen Dramaturgie, findet die Premiere am 15. Februar 2013 statt. Doch statt drei weiterer Vorstellungen, folgt die Ansage von ganz oben: „Die Produktion NAZISTÜCK wird bis auf Weiteres vom Spielplan des SPINNWERK genommen.“

 

Sie wussten von nichts

Nun muss sich zunächst die Frage stellen, warum ein Stück, welches zu uneindeutig/grenzwertig/kontrovers für eine Premiere ist, erst um eine Spielzeit verschoben wird, nur um dann nach einer einzigen Aufführung wiederum abgesetzt zu werden. Hat sich tatsächlich keine leitende Stelle auch nur ansatzweise mit den Änderungen im Drehbuch und der Dramaturgie v o r der Premiere befasst? Augenzeugen berichten, Sebastian Hartmann, der Intendant des CT habe die Premiere besucht, um nach der Aufführung unstet durch den Vorraum des SPINNWERK zu tigern, offensichtlich zutiefst beunruhigt über das Gesehene. Waren 10 Monate nicht genug Zeit um einen Blick in das umgeschriebene Drehbuch zu werfen oder einer einzigen Probe beizuwohnen?1

Wir möchten hier nicht näher auf die Implikationen eingehen, was diese Handhabe über das theaterpädagogische Feingefühl der Leitung des CT aussagt – es handelt sich bei den Beteiligten um junge Erwachsene, die viele Monate Arbeit in Konzeption, Recherche, Charakterzeichnung, Bühnenbild und Ausführung gesteckt haben. Unbezahlte Laien, nicht Profis, die mit dem Anspruch in die Produktion gegangen sind, ihre Fähigkeiten inhaltlicher und schauspielerischer Natur zu fördern und vor Publikum zu beweisen. Und nun: Zwei Jahre Arbeit für eine Vorstellung? „Unhöflich“ wäre eine sehr höfliche Umschreibung.

Der Kunstbetrieb hat ein Naziproblem

Die Dünnhäutigkeit von Intendanz und der Chefdramaturgie rührt natürlich nicht allein von der reinen Qualität des Stücks. Einem Jugendtheater können und dürfen Schnitzer in der Ausführung durchaus nachgesehen werden2 Und man soll schon handwerklich schlechtere Aufführungen am SPINNWERK gesehen haben. Nein, das Problem ist das Material, dem sich die Beteiligten angenommen haben: Nazis, und zwar in idealtypischer Darstellung, in ihrem natürlichen Habitat (das Stück spielt in einem Nazizentrum, angelehnt an die Odermannstraße 8 in Lindenau). Der Zuschauende wird eindeutig mit nationalsozialistischen Aussagen beschallt. Der fragwürdige gesellschaftliche Konsens aber lautet, den Nazis keine Bühne zu bieten.

Wir möchten nicht unterschlagen, dass das BRIMBORIA INSTITUT bereits in eine ähnliche Bredouille geraten war, als wir 2012 zur 7. Berlin Biennale eingeladen wurden und unser ‚Nazistück‘ der Unsouveränität des Kunstbetriebes zum Opfer fiel. Hier nun also: same procedure as every year. Der Kunstbetrieb in Deutschland scheint vor Ehrfurcht ergriffen, wenn es um die Behandlung der rechten Ideologie geht. Nämlich Ideologie in Form der künstlerischen Darstellung ihrer Träger, der Nazis selber. Wir sind nach wie vor der Ansicht, ein erfolgreicher Kampf gegen Nazis braucht auch die direkte Konfrontation mit Naziideologie. So zu tun, als wären Nazis nur hirnvermummte Irre, die dank Ihrer auratischen Wirkung jeden schwachen Geist sofort in ihren mystischen Bann ziehen, ist ein billige, bürgerliche Ausrede und spielt Nazis von vorn bis hinten in die Hände.

Die Waffen der Kritik

Nach der Vorstellung sitzen fast alle Besucher in der anschließend abgehaltenen Publikumsdiskussion, in Anwesenheit der DarstellerInnen und der Regie, und haken nach. Es kommen Fragen nach der politischen Haltung der Mitwirkenden, diese verneinen nachdrücklich irgendeinen Gefallen an rechter Denke gefunden zu haben; es wird nach den Bezügen im Stück zu realen Begebenheiten in Leipzig gefragt – eine Vielzahl an Anspielungen und Zitaten wird erläutert. Es kommen Fragen zum Frauenbild der Rechten und warum Nazis eigentlich Kapitalismuskritik üben. Verweise auf weiterführende Literatur werden gegeben, schon der Blick ins Programmheft gibt Hinweise auf viele Baustellen. Die Leute diskutieren über die I n h a l t e des NS. Diskussionen, die bis jetzt weitesgehend ausgeblieben sind, trotz NPD-Verbotsdebatte und irrer NSU-Abartigkeiten.

Das Stück warf die Fragen auf, der Rahmen gab Antwortansätze. Die Diskussion zeigte Verständnis und Wissenslücken, auch das Interesse, letztere zu schließen. Doch natürlich hat nicht jeder die Zeit solchem Schnickschnack beizuwohnen, denn was zählt ist ja das reine Werk. Oder wie sehen Sie das, Herr Hartmann?

 

1  Natürlich wollen wir den Aufwand nicht kleinreden: Sebastian Hartmann ist am Kofferpacken, seine Intendanz im Centraltheater endet mit dieser Spielzeit.

2  Siehe auch dazu: LVZ, „Ideologische Innenschau“, Ausgabe vom 18.02.2013, S. 9

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Eigene Projekte

Urban Agora

URBAN AGORA

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Die antike Agora aufheben – bewahren, beenden, erheben (Quelle: “Internet”)

ORT: Landsberger-/ Ecke Reideburgerstrasse, Halle/Saale
ZEIT: 9.9., Sonntag, 16.oo – 18.oo Uhr

Das Leben in der Großstadt erscheint als eine ungeheure Ansammlung von Individuen, Gebäuden, Infrastruktur – das BRIMBORIA Institut schickt sich an, diese unzähligen Ebenen aufzudröseln und sichtbar zu machen. Live-Interviews mit urbanen Funktionsträgern (u.a. Busfahrer, Stadtführer, Pöbel und Gesocks) werden mit Theorien und Texten zum städtischen Zusammenleben unterfüttert. Nur wer weiß, wie Stadt funktioniert, kann sie auch sinnvoll verändern.

In geräumiger Wohnzimmeratmosphäre werden Texte und Kurzreferate vorgetragen. Die Veranstaltung findet im Rahmen des “All You Can Paint”-Festivals statt.

Urban Agora @ A.Y.C.P.: Erste Eindrücke (10. September 2012)

URBAN AGORA zum Hören und Lesen (18. September 2012)

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URBAN AGORA zum Hören und Lesen

Das Konzept URBAN AGORA – Forschungsbericht

Das BRIMBORIA Institut hatte eigens für die Veranstaltung im Rahmen des Freiraumfestivals “All You Can Paint” in Halle das Konzept URBAN AGORA entwickelt. Der Testballon hatte nun seinen Forschungseinsatz und wir können feststellen: alle Tests positiv verlaufen. Die Veranstaltung konnte trotz Beta-Status einwandfrei und mit Gewinn für alle Beteiligten stattfinden. Das machen wir nochmal.

Ganz besonders interessant ist die Möglichkeit eine URBAN AGORA in allen erdenklichen Städten in dieser bzw. weiterentwickelter Form durchzuführen. Nächstes Mal dann: Mehr Medien. Mehr Menschen. Mehr Spektakel. Dessen Regeln kennen wir nun bereits und sind gewillt das Spektakel gegen sich selbst zu wenden.

URBAN AGORA – Appendix (Texte & Audiomitschnitt)

Die Texte, die wir verwendeten und wo sie nachlesbar zu finden sind.

1. Antike
1.1. Dialog Phaidros/Sokrates (aus: Platon, Phaidros)
1.2. Aristoteles zur Polis (Auszüge aus: Aristoteles, Politik, 7. Buch)
1.3. Simmel zur antiken Kleinstadt (Auszüge aus: Georg Simmel, Die Großstädte und das Geistesleben)

2. Engels in London (Auszüge aus: Friedrich Engels, Die Großen Städte)

3. Wohnen
3.1. Adorno zum Wohnen (aus: Theodor W. Adorno, “Asyl für Obdachlose”, Minima Moralia)
3.2. Behrens zu Adorno (Auszug aus: Roger Behrens, Schöner Wohnen nach der Stadt)

4. Situationistische Internationale (SI) und Stadt
4.1. SI zum Verkehr (aus: SI, Situationistische Position zum Verkehr)
4.2. SI zum urbanen Erfahren (Auszug aus: SI, Theorie des Umherschweifens)

5. Kampf in der Stadt
5.1. Hamburger Aufstand 1923 (Auszug aus: Larissa Reissner, Hamburg auf den Barrikaden)
5.2. NATO zu Krieg in der Stadt (Auszug aus: NATO Research and Technology Organisation, Urban Operations in the Year 2020)

Den Audiomitschnitt gibts zum Hören und Herunterladen hier:

Auf diesem Wege auch noch einmal dicken Dank an:

– Hendryk, Viola, Ina und Gunther vom AYCP Festival, die die Räume aufgemacht und offen gehalten haben
– Anna Seghers und Heiner Müller, die mit Eindringlichkeit die zerhackensten Texte vorlasen
– Mario Naise, der der Kritik am Kunstbetrieb einen temporären Ort gegeben hat
– die Hipster-Antifa Neukölln mit einem Interviewpartner per Telefon und guten Antworten
– die Redaktion des “FLORIDA”-Magazins, ohne deren Publikation dieses Panoptikum schwer möglich gewesen wäre: http://florida.maknete.org/

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In eigener Rache

Urban Agora @ A.Y.C.P.: Erste Eindrücke

Photo: Linnéa Meiners

Gestern wurde unser neues Format „Urban Agora“ erstmalig auf dem All You Can Paint Festival in Halle/Saale erprobt – ein paar erste visuelle Eindrücke finden sich an dieser Stelle, ein ausführlicher Bericht wird in den kommenden Tagen nachgereicht! Yeah.

 

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Alltag & Poesie

BRIMBORIA Institut @ Orbanistan

Kurzes Update: Das BRIMBORIA Institut beteiligt sich an einem Austauschprojekt mit linken Aktivisten aus und in Ungarn. Vor einem Tag sind wir von einem Vorbereitungstreffen in Budapest wieder angekommen und werden die Tage über das gesamte Projekt sowie linke Aktivitäten dort vor Ort berichten.
Als Appetizer wollen wir an dieser Stelle schon mal einen kleinen Eindruck dokumentieren, welche Hürden linke Politik in Ungarn so vor sich sieht.

Unter den fünf verbotenen Symbolen im Orban Regime befindet sich unter anderem:

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Was dagegen völlig cool ist:

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– mehr die Tage!