Deutschland muß untergehen!
– DER dada (1920)
Vor einhundert Jahren trat Dada an, um durch die Politisierung der Kunst Nation und Kapital abzuschaffen. Offensichtlich ohne Erfolg. Dennoch hat dieses Scheitern nicht etwa Nachfolgeprojekte verhindert, die an der gleichen Baustelle gearbeitet haben – im Gegenteil. Um nur ein paar Stationen zu nennen: Der Situationismus, der Punkrock, die Kommunikationsguerilla sowie in letzter Zeit vor allem satirische Aktionskunst arbeiteten dort weiter, wo Dada aufgehört hat. Auch sie hatten keinen Erfolg. Ein Ende dieses permanenten Scheiterns ist trotzdem nicht in Sicht. Auch wenn die bürgerliche Geschichtsschreibung wohl gerade aus Anlass des Dada-Jubiläums versuchen wird, analog zu Marxens Gesamtwerk auch dieses materialistische Projekt als historisch verfallen zu bewerten.
Das tun am liebsten jene, die sich die Kunstgeschichte als eine Geschichte aufeinanderfolgender Kunstmittel denken, ohne sie in ihren theoriehistorischen Kontext einzubetten. Gerade bei Dada erweist sich diese Strategie als völlig verfehlt. Klar kann man Dada als tot begreifen, wenn man es auf die Provokation durch Chockwirkung der Montage als zentrales Mittel setzt, die verlustigt geht, sobald sie wiederholt vors Publikum gesetzt wird. Das heißt aber nicht, dass das Gesamtprojekt gescheitert ist – also das Vorhaben, aus der Kunst heraus Nation und Kapital abzuschaffen.
Die Frage, was Dada überhaupt ist, wurde bekanntermaßen als undadaistisch abgetan.
Die Frage, wie Dada ist, also welche Mittel die Damen und Herren denn so verwendet haben, ist der gleiche Nonsens.
Die Frage, warum Dada ist, nimmt dagegen den Gegenstand ernst und offenbart, dass der eigentliche Entstehungsgrund von Dada – nochmal einmal mit Gefühl: nicht um irgendwelche beschissenen Lautgedichte zu fabrizieren, sondern um Nation und Kapital abzuschaffen – bis heute besteht. Auch wenn die Beantwortung dieser Frage den Nachfolgeprojekten überlassen wurde.
Denn auch (post)-dadaistische Nachfolgeprojekte haben Wege und Mittel gefunden, um mit Mitteln der Provokation Schockwirkungen auszulösen. Allerdings ereilte sie das gleiche Schicksal: Eine Provokation ist kein Dauerbetrieb, ihre Wiederholbarkeit bleibt aus. Die Mittel der Kommunikationsguerilla waren ein willkommener Innovationsschub im Marketingbetrieb. Die Koketterie, aus der Kunst heraus die Welt revolutionieren zu wollen, ist heute eine Standardfloskel in Förderanträgen. Und selbst rechte Bewegungen wie die „Konservativ-Subversive-Aktion“ bedienen sich am avantgardistischen Methodenkoffer.
Die Chockwirkungen der Avantgarde sind nicht nur verwirkt, sie wurden von den gesellschaftlichen Verhältnissen vollständig verschluckt und verdaut.
Und trotzdem geht es auch heute noch weiter. Künstlerisch-politische Kollektive wie The Yes Men, das Peng! Collective, die Front Deutscher Äpfel, Die Partei Die PARTEI sind nur eine Auswahl an aktuellen (post-)dadaistischen Nachfolgeprojekten.
Dada gehört in einen Kanon, aber nicht in den Kanon der bürgerlichen Kunstgeschichte. Diese hat es vollständig versäumt, Dada auch nur annähernd gerecht zu werden. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn versucht wird, Dada irgendwo zwischen Expressionismus und Bauhaus zu kanonisieren. Was sachlich falsch ist: Expressionismus hat mit Avantgarde nichts zu tun. Dort ging es in überhöhter Wertung um das Schaffen des „Künstler-Genies“, das sich mit seinem gesellschaftlich bedingten Sonderstatus einen angeblich besonderen Zugang zur Welt erarbeitete und diesen in Einzelwerke gießen konnte. Der bürgerliche Kunstbetrieb kam dem gerade recht und wurde durch den Expressionismus keinesfalls hinterfragt. Bei Bauhaus ging es vordergründig um das, was man mit Peter Bürger als „falsche Aufhebung“ bezeichnen könnte: um die Verkünstlichung des Alltags, um Design. Was freilich Optionen für reformistische Politik bietet, aber mit einer radikal-kritischen Infragestellung der Produktionsverhältnisse nicht unmittelbar etwas zu tun hat. Im Übrigen erkennt man daran auch eine nationalhistorische Deutungshoheit der bürgerlichen Kunstgeschichte: Dada war von Anfang an international. Deswegen ist es schlicht falsch, die Bewegung unkommentiert zwischen den deutschen Expressionismus und das deutsche Bauhaus zu platzieren.
Natürlich gehört Dada kanonisiert, aber eben nicht in diesen Kanon, sondern in den werdenden Kanon der avantgardistischen Bewegungen, zu deren Grundverständnis auch ein globales Verständnis von Kapitalprozessen gehörte. Die Situationistische Internationale organisierte sich ebenso wie Dada anhand von Städten, nicht Nationen. Punk konnte mit Nation ohnehin nicht viel anfangen. Und Projekte der Kommunikationsguerilla intervenierten zwar in einen nationalen Diskursrahmen, verstanden sich aber in den seltensten Fällen als wohlmeinend-reformistische Beiträge zu diesem. Sie waren eine Reaktion auf kapitalistische Bedingungen der Produktion von Öffentlichkeit, die durch globale Produktionsverhältnisse bedingt sind.
Alle (Post-)Avantgarde-Projekte waren dilettantisch: Sie erprobten schließlich die Kunst einer nächsten Gesellschaftsordnung. Das allein sorgt dafür, dass es nicht darum gehen kann „wer am schönsten malt etc.“, sondern anhand von spekulativen Behauptungen á la „in einer befreiten Gesellschaft ist die Distinktion von Kunst und Lebenspraxis aufgehoben“ denkbare Mittel dieser neuen Kunst erprobt werden. Sie sind damit immer ein Verweis, kein in sich geschlossenes Werk, das sich anmaßt, ahistorisch aufzutreten. Und immer mit einem Moment des Scheiterns verbunden ist, weil sie unter Bedingungen herumexperimentieren wollten, die gar nicht gegeben waren. Es müsste auch überprüft werden, ob der Versuch, von der Kunst aus die Welt zu revolutionieren jemals wirklich ernst gemeint war, oder nicht viel mehr eine Geste. Aber eben auch immer wieder ein Verweis darauf, dass das Gegebene, wie es ist, so nicht sein muss. Und das macht die Versuche subversiv.
Auch auf diese Versuche erfolgte zumeist das gleiche Spiel: Die Avantgarde erfindet neue Methoden. Diese werden vom Kapital verinnerlicht und von ihrer radikal-kritischen Intention losgelöst. Wie zum Beispiel durch das Aufsaugen avantgardistischer Methoden in der Werbeindustrie. Aber dennoch bestand für die (post-)dadaistischen Projekte kein Grund, aufzugeben: Es wurde und wird weiterhin munter herumexperimentiert. Natürlich ist Subversion immer mit einem Scheitern verbunden, aber mit einem Scheitern, das sich fortsetzt. Kein Ende der Geschichte ist in Sicht, es darf noch fröhlich weiter gescheitert werden. Die Stiftung zur Aufarbeitung der Kapitaldiktatur wird das eines Tages schon richtig deuten: als Versuch, immer wieder darauf zu behaaren, das unabänderlich Erscheinende als veränderbar zu präsentieren.
Mit diesem Beitrag plädiere ich für ein neues Verständnis der (post-)dadaistischen Avantgardeprojekte. Ich möchte vorschlagen, das Scheitern von subversiven Veranstaltungen als konstitutiv für selbige hinzunehmen und Subversion als das zu erkennen, was sie ist: als intentional-revolutionäre Handlung in einem nicht-revolutionären Zustand der Gesellschaft und damit mit nicht-revolutionärer Konsequenz – das Scheitern in Permanenz. Zu der Voraussetzung von Subversion gehört, dass ihr Erfolg ohne das Eintreten des gesellschaftlichen Zustandes, auf den sie hinausarbeitet, ohnehin nicht sichtbar ist. Also kann man den Begriff des Scheiterns auch gleich positiv wenden und behaupten: Das avantgardistische Scheitern ist kein Anzeichen von Misserfolg, sondern immer mit der Frage verbunden, warum eine Manifestation scheitert. Und das sagt mehr über die Konstitution der Gesellschaft aus, als eine werkästhetische Interpretation einzelner Werke.
Freilich muss die gehaltvolle Betrachtung von postdadaistischen Avantgardeprojekten um einzelne Erweiterungen des produktionshistorischen Entstehungskontextes dieser Bewegungen erweitert werden: der Situationismus um das Aufkommen der Kulturindustrie. Punk um die Entstehung von Pop und Subkulturen. Kommunikationsguerilla um die Etablierung von Gegenöffentlichkeit. Und doch gilt auch hier das Gleiche wie auch bei Marx: Alle historischen Nachfolgebewegungen des Dadaismus basieren auf der Weichenstellung, welche die Theorie und Praxis des Dadaismus gelegt hat. Sie ist die Basis, Versuche der revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft durch Kunst überhaupt zu denken. Und solange eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft nicht verwirklicht ist, bleiben sie es auch.
Dieses Essay basiert auf Auszügen aus einer gleichnamigen Online-Publikation, die bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung kürzlich erschienen ist, und entstand im Rahmen des vom BRIMBORIA Institut in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung realisierten Projektes Dada’s not dead.