Sonst für ihre gut gelaunte Schreibe bekannt, beklagt die Pressestelle der Polizei Leipzig in einer Mitteilung wehleidig die aus ihrer Sicht viel zu diffusen Grenzen von Satire:
Was war passiert?
In Leipzig-Connewitz wurde vor kurzem eine Polizeistelle eröffnet. Wer von Connewitz schon mal etwas gehört hat, befürchtete sicherlich schon wieder das Schlimmste: Straßenschlachten, durch gewaltbereite Chaoten besetzte Polizeibüros, und wer weiß, vielleicht sogar die ein oder andere umgetretene Mülltonne.
Vergangenen Freitag zeigte sich überraschend ein anderes Bild: Die Szene versammelte sich tatsächlich vor der neu eingerichteten Polizeidirektion. Anstatt der befürchteten Krawalle wurde aber auf ein anderes Mittel der politischen Auseinandersetzung gesetzt: Satire. Das kam alles andere als gut an.
Als verantwortlich für die Aktion zeigte sich die Bürgerinitiative „No Police District Connewitz“, kurz NPD Connewitz. Sie inszenierte sich als besorgter Mob mit Heugabeln vor dem neuen Polizeibüro und informierte die Eindringlinge, dass sie in ihrer Nachbarschaft nicht erwünscht seien.
Dabei hielt ein Pulk von ungefähr 200 Menschen selbstgebaute Papier-Fackeln in die Luft, freute sich über die vielen pointierten Sprüche aus den eigenen Reihen und lachte über die selbstironische Rede, die über das Megaphon verlesen wurde, um alle Akteure des Geschehens aufs Korn zu nehmen. Die Stimmung war ausgelassen, jünge Familien mischten sich unter die Demonstrierenden.
Spätestens da hätte auffallen müssen: Es ging bei dieser Aktion selbstverständlich nicht um die Einschüchterung von irgendeinem mickrigen Polizeibüro. Es ging um die Karikatur eines Bürgermobs und den Hinweis, wie blind die Polizei sich gerade in Leipzig regelmäßig bei Ermittlungen in der Naziszene anstellt.
Bürgerinitiativen sind in letzter Zeit vor allem als eins bekannt geworden: Als Protestplattformen für Nazis und bürgerliche Rechte, sei es gegen den Moscheenbau in Leipzig-Gohlis oder gegen eine Unterkunft für Asylbewerber_innen in Leipzig-Schönefeld. Sie sind allesamt Beispiele einer neuen NPD-Strategie, die bei ähnlichen Protesten letztes Jahr in Berlin-Marzahn zum ersten Mal aufkam.
Insbesondere in Leipzig entstanden in diesem Umfeld widerwärtige Aktionen. So wurden im letzten Herbst auf der Baustelle der geplanten Moschee in Gohlis Schweinköpfe auf Holzpfäle aufgespießt.
Leipzig hat ein Naziproblem. Dagegen gilt es anzukämpfen. Die Aktion der „NPD-Connewitz“ war ein erfrischend anderes Mittel, um auch mal die Polizei direkt auf die Missstände aufmerksam zu machen, in welchen marginalisierte Menschen dieser Stadt leben. Dass diese Intention nicht durchdrang, ist nicht den Veranstalter_innen anzulasten. Wenn eine satirische Aktion mit theatralen Requisiten, vorbereiteten Redebeiträgen und sogar einer offiziellen Anmeldung in der Tasche im Nachgang als Krawallveranstaltung verkauft wird und ihr kommunizierter, politischer Anspruch nicht einmal eine Erwähnung findet, dann ist der Vorgang vielmehr bezeichnend für die völlige Ignoranz seitens Polizei und Bürgertum.
Das alles spricht unter anderem für ein sehr fragwürdiges Verständnis von Satire. Aus diesem Grund hat die Gründungsgeneration der Front Deutscher Äpfel, eines anderen Satireformates aus Leipzig, eine Pressemitteilung aufgesetzt, die im Folgenden dokumentiert wird:
Pressemitteilung: Gründer der Apfelfront melden sich bezüglich Satire-Debatte in Leipzig zu Wort
Im Rahmen einer satirischen Aktion im Statdteil Connewitz kochen in Leipzig die Wogen hoch. Jetzt melden sich auch Alf Thum, seines Zeichens Erfinder und „Führer“ der aus Leipzig stammenden „Front Deutscher Äpfel“, einem bundesweit bekannten Satire-Projekt gegen Rechts, sowie zwei weitere Mitbegründer zu Wort.
„Wenn ich anderen Eltern aus dem Kindergarten meines Sohnes erzähle, dass ich manchmal in Connewitz auf Partys oder Veranstaltungen bin, fragen die immer besorgt nach, ob man da denn nicht dauernd überfallen, verprügelt oder einem das Auto angezündet wird – soweit Connewitz als stadtbekanntes Klischee. Findet dann eine noch nicht barrikadenbewährte Satireaktion statt, gibt es sofort Aufregung mit dem Tenor: ‚Dürfen die das?‘ Doch es ist zentrales Element von Satire, mit Überspitzungen, Ironie und haltlosen Behauptungen zu arbeiten. Es mit einer satirischen Demoaktion immer allen Recht zu machen ist nicht möglich. Denn Satire spaltet, ist nicht für jeden gleichermaßen lesbar und ist letztlich immer ein wenig riskant und Geschmackssache. Satire arbeitet sich gern an Autoritäten ab. Ich finde es unnötig, dass nun Politiker und Funktionäre meinen, sich über einen allgemein gültigen Satirebegriff verständigen zu müssen. Ich fordere ultimativ alle Beteiligten mit dem Hinweis: ‚Es ist Karnevalszeit!‘ auf, sofort die Empfindlichkeiten einzustellen.“, sagt Alf Thum, Gründer der Apfelfront.Tilman Loos, mittlerweile selbst aktives LINKE-Mitglied ergänzt: „Ich habe selbst noch nie eine Demo besucht, auf der ich alles was gerufen worden ist, hätte unterschreiben können. Das ist auch weder im Vorfeld planbar noch vor Ort umsetzbar. Die Anmelderin für jeden Vorfall auf und nach der Kundgebung in Haftung zu nehmen, geht meilenweit an der Realität solcher Veranstaltungen vorbei. Das weiß aber eigentlich jeder.“, sagt Tilman Loos.
Dass es gerade bei satirischen Auftritten im öffentlichem Raum immer wieder zu Irritationen kommt, kennt Tilman Loos noch von der Apfelfront. Dieses Satireprojekt gegen Rechts hatte weit über Leipzig hinaus ab 2004 für Aufsehen gesorgt. Tilman Loos, damals einer der Mitbegründer des Projekts, sagt dazu:
„Auch bei den Auftritten der Apfelfront ist es immer wieder passiert, dass Teile des Publikums das Ganze entweder nicht verstanden haben oder deutlich über das Ziel hinausgeschossen sind. Damit muss man leben, wenn man solcherlei Aktionen macht. Nicht nur beim Essen sondern auch bei der Kunst gilt bekanntlich: Geschmäcker sind verschieden.“, sagt Tilman Loos.
Max Upravitelev, der selbst aus Berlin angereist war um die Aktion zu beobachten, ergänzt: „Die Aktion war eindeutig stark auf die Situation in Schönefeld und die rassistische Stimmungsmache dort gemünzt. Der neue Polizeiposten in Connewitz war selbst nur Vorwand, eine willkommene Requisite. Es ist seltsam, dass dies offensichtlich kaum jemand verstanden hat. Wer wie ich vor Ort war hätte übrigens auch deutlich wahrnehmen können, dass im gehaltenen Redebeitrag eine ganz gehörige Portion Selbstironie der linken Szene enthalten war. Kunst im öffentlichen Raum ist immer auch ein Experiment. Aber es muss möglich sein, neue Aktionsformate zu erproben. Dass nun ausgerechnet ein Kulturpolitiker das alles nicht versteht, ist allerdings wirklich komisch im wahrsten Sinne des Wortes.“, so Max Upravitelev.
Völlig absurd wird die Geschichte übrigens durch ein halbes Spezial in der heutigen Printausgabe der konservativen Leipziger Volkszeitung. Ausgerechnet in diesem Rahmen hielt es sogar der Stadtvorstand der Partei „Die Linke“ für nötig, gegen eine gelungene Aktion und aktive Mitglieder der eigenen Partei zu wettern. Absurder wird es nicht. Aber hoffentlich kann man wenigstens an dieser Stelle erwarten, dass nach der öffentlichen Denunziation auch eine Entschuldigung folgt.