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In eigener Rache

Nazis rein – Kommentar zur Absage des „Nazistück“

Die Intendanz des Leipziger Centraltheaters (CT) hat die Aufführung des „Nazistück“ ausgesetzt. „Verschoben“ und „abgesagt“ wurde die Aufführung bereits im Mai 2012. Die Begründung damals: das Stück sei nicht eindeutig genug in Opposition gegangen, zum dargestellten Denken und Handeln von Nazis. Fast zehn Monate später, nach einer Generalüberholung in Sachen Dramaturgie, findet die Premiere am 15. Februar 2013 statt. Doch statt drei weiterer Vorstellungen, folgt die Ansage von ganz oben: „Die Produktion NAZISTÜCK wird bis auf Weiteres vom Spielplan des SPINNWERK genommen.“

 

Sie wussten von nichts

Nun muss sich zunächst die Frage stellen, warum ein Stück, welches zu uneindeutig/grenzwertig/kontrovers für eine Premiere ist, erst um eine Spielzeit verschoben wird, nur um dann nach einer einzigen Aufführung wiederum abgesetzt zu werden. Hat sich tatsächlich keine leitende Stelle auch nur ansatzweise mit den Änderungen im Drehbuch und der Dramaturgie v o r der Premiere befasst? Augenzeugen berichten, Sebastian Hartmann, der Intendant des CT habe die Premiere besucht, um nach der Aufführung unstet durch den Vorraum des SPINNWERK zu tigern, offensichtlich zutiefst beunruhigt über das Gesehene. Waren 10 Monate nicht genug Zeit um einen Blick in das umgeschriebene Drehbuch zu werfen oder einer einzigen Probe beizuwohnen?1

Wir möchten hier nicht näher auf die Implikationen eingehen, was diese Handhabe über das theaterpädagogische Feingefühl der Leitung des CT aussagt – es handelt sich bei den Beteiligten um junge Erwachsene, die viele Monate Arbeit in Konzeption, Recherche, Charakterzeichnung, Bühnenbild und Ausführung gesteckt haben. Unbezahlte Laien, nicht Profis, die mit dem Anspruch in die Produktion gegangen sind, ihre Fähigkeiten inhaltlicher und schauspielerischer Natur zu fördern und vor Publikum zu beweisen. Und nun: Zwei Jahre Arbeit für eine Vorstellung? „Unhöflich“ wäre eine sehr höfliche Umschreibung.

Der Kunstbetrieb hat ein Naziproblem

Die Dünnhäutigkeit von Intendanz und der Chefdramaturgie rührt natürlich nicht allein von der reinen Qualität des Stücks. Einem Jugendtheater können und dürfen Schnitzer in der Ausführung durchaus nachgesehen werden2 Und man soll schon handwerklich schlechtere Aufführungen am SPINNWERK gesehen haben. Nein, das Problem ist das Material, dem sich die Beteiligten angenommen haben: Nazis, und zwar in idealtypischer Darstellung, in ihrem natürlichen Habitat (das Stück spielt in einem Nazizentrum, angelehnt an die Odermannstraße 8 in Lindenau). Der Zuschauende wird eindeutig mit nationalsozialistischen Aussagen beschallt. Der fragwürdige gesellschaftliche Konsens aber lautet, den Nazis keine Bühne zu bieten.

Wir möchten nicht unterschlagen, dass das BRIMBORIA INSTITUT bereits in eine ähnliche Bredouille geraten war, als wir 2012 zur 7. Berlin Biennale eingeladen wurden und unser ‚Nazistück‘ der Unsouveränität des Kunstbetriebes zum Opfer fiel. Hier nun also: same procedure as every year. Der Kunstbetrieb in Deutschland scheint vor Ehrfurcht ergriffen, wenn es um die Behandlung der rechten Ideologie geht. Nämlich Ideologie in Form der künstlerischen Darstellung ihrer Träger, der Nazis selber. Wir sind nach wie vor der Ansicht, ein erfolgreicher Kampf gegen Nazis braucht auch die direkte Konfrontation mit Naziideologie. So zu tun, als wären Nazis nur hirnvermummte Irre, die dank Ihrer auratischen Wirkung jeden schwachen Geist sofort in ihren mystischen Bann ziehen, ist ein billige, bürgerliche Ausrede und spielt Nazis von vorn bis hinten in die Hände.

Die Waffen der Kritik

Nach der Vorstellung sitzen fast alle Besucher in der anschließend abgehaltenen Publikumsdiskussion, in Anwesenheit der DarstellerInnen und der Regie, und haken nach. Es kommen Fragen nach der politischen Haltung der Mitwirkenden, diese verneinen nachdrücklich irgendeinen Gefallen an rechter Denke gefunden zu haben; es wird nach den Bezügen im Stück zu realen Begebenheiten in Leipzig gefragt – eine Vielzahl an Anspielungen und Zitaten wird erläutert. Es kommen Fragen zum Frauenbild der Rechten und warum Nazis eigentlich Kapitalismuskritik üben. Verweise auf weiterführende Literatur werden gegeben, schon der Blick ins Programmheft gibt Hinweise auf viele Baustellen. Die Leute diskutieren über die I n h a l t e des NS. Diskussionen, die bis jetzt weitesgehend ausgeblieben sind, trotz NPD-Verbotsdebatte und irrer NSU-Abartigkeiten.

Das Stück warf die Fragen auf, der Rahmen gab Antwortansätze. Die Diskussion zeigte Verständnis und Wissenslücken, auch das Interesse, letztere zu schließen. Doch natürlich hat nicht jeder die Zeit solchem Schnickschnack beizuwohnen, denn was zählt ist ja das reine Werk. Oder wie sehen Sie das, Herr Hartmann?

 

1  Natürlich wollen wir den Aufwand nicht kleinreden: Sebastian Hartmann ist am Kofferpacken, seine Intendanz im Centraltheater endet mit dieser Spielzeit.

2  Siehe auch dazu: LVZ, „Ideologische Innenschau“, Ausgabe vom 18.02.2013, S. 9