Am Sonntag zieht der Nazi-Hool-Mob durch das tiefsächsische Chemnitz, am Montag sollte die zivilgesellschaftliche Revanche erfolgen. Die Lust, zur antirassistischen Demonstration nach ehemals Karl-Marx-Stadt zu reisen, tarnt sich zunächst als Angst. Die Chorprobe des “Singeklub Leipzig” wird dennoch in eine antifaschistische Gruppenfahrt umgewandelt. Die Geschehnisse aus der Sicht von Singeklubler und BI-Mitglied Tom Rodig.
Auf der Hinfahrt noch gut lachen (“Alle Kraft dem Fünfjahrplan”) und gut singen (“Zerschlagt die faschistischen Räuberheere, setzt alle Herzen in Brand”). Die Polizei Sachsen zeigt sich im Vorfeld vorbereitet und personell ausreichend ausgestattet.
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Später bröckelt die Behauptung der Polizei Sachsen, wie so oft, mit jedem nicht geahndeten Hitlergruß, jeder offensichtlichen Vermummung. Wo man bei G20 in Hamburg eine Demonstration von 10.000 Menschen auflöst, offiziell wegen der Vermummungen, lässt man die Nazis hier gewähren. Ist das noch Unfähigkeit oder schon fahrlässige Realitätsverweigerung? Der größte Symbol-Skandal des Tages aber, der muss sogar den alten Kalle Marx im Grabe drehen lassen. Ein Banner mit Zitat des Dichters A. Günther hängt am Nischel und sprach “Deutsch un frei wolln mer sei” in erzgebirgischer Mundart. Größte Heldentat des Tages: Eine mitgereiste Freundin macht sich kurzerhand auf, das Banner zu entfernen. #Respect
(Video) Eine #Antifa Aktivistin reisst das Banner der #Nazis vom #Marx Kopf. Yeah! (17:52)#alerta #DankeAntifa#c2708 pic.twitter.com/4q47tDfLJK
— (@werdasliestist) 27. August 2018
Zu diesem Zeitpunkt war das Kräfteverhältnis allerdings noch zugunsten der Gegendemo gelagert. Eine Stunde später sah man sich jedoch doppelt- bis dreimal so vielen Hutbürgern und Nazihools gegenüber. Das Bedenklichste daran, war jedoch die gleichbleibende Präsenz und Zahl der Cops vor Ort. Lediglich eine Reihe Wannen und eine mickrige Hundertschaft sollte die am Ende ca. 5000 Pro-Chemnitzer von 1000 Gegendemonstrant*innen trennen. Mutig, Polizei Sachsen!
Als die ersten Ausbrüche aus dem Demonstrationsverbund der Rassist*innen geschahen, wurde die lächerliche Einsatzvorbereitung der Polizei in Chemnitz offenbart. Doch die Demo aufzulösen (#PolizeilicherNotstand) war offenbar unmöglich geworden. Vielleicht in Eingedenk des Versagens zur HoGeSa-Demo in Köln 2014? Die ALternative sah wenig besser aus:
„Für Journalisten werden weite Teile der Chemnitzer Innenstadt jetzt endgültig zur No-Go-Area.“ #Chemnitz https://t.co/nbAi686wpW
— Sebastian Erb (@seberb) 28. August 2018
Spätestens jetzt kam der dringende Wunsch auf, alsbald nach Leipzig zurückzufahren. Doch wie zum Bahnhof kommen, wo doch überall Freischaren an Nazihools zum “Zeckenklatschen” durch die Straßen zogen? Eine versprochene Polizei-Eskorte kam nicht zustande, nur eine halbe Hundertschaft war anwesend. Der Weg zum Bahnhof war von Steinwürfen, Anfeindungen und überforderten Cops geprägt. Es gab einem Wunder gleich nur 5 Verletzte.
Wo wir wieder bei G20 in HH wären: Die von der Presse als Krawallnächte, Chaostage und anderen Superlative (#brennendeAutos) bezeichneten Ereignisse, haben mir längst nicht so weiche Knie verschafft, wie jener Spießrutenlauf zum Hauptbahnhof. Alles in allem, ein totales Versagen der Polizei Sachsen, aufgrund maßloser Selbstüberschätzung, angewandter Blödheit im Planungsstab und schreiender Lernresistenz. Unsere Lust hatte sich tatsächlich als Angst enttarnt. Danke, Sachsen, für dieses Unhappy End.